
Trinken wir demnächst einen Kaffee zusammen? fragt sie mich vor einigen Wochen in der Bibliothek, wo Ornella gerade die Italienische Lektion beendet hatte.
Ich freue mich darüber. Massima kommt ursprünglich aus Rumänien. Sie ist groß, also viel größer als die Meisten hier in der Toskana. Sie ist etwa Mitte 30, stark und drahtig gebaut - und gleichzeitig zart. Ein schönes, ebenmäßiges Gesicht umrandet ihre wachen Augen. Sie versteht immer alle Worte, die gesagt werden und spricht fast akzentfrei. Aus Rumänien eben.
Als sie zum ersten Mal in die Bibliothek kam, beschrieb ich ein wunderschönes Bilderbuch, das ich gelesen hatte: ein Kind verliert seine Großmutter und wächst in die Überwindung der Trauer hinein. Wunderschön auch die Bilder. Ich erzählte, wie mich die Natürlichkeit und Echtheit der Bilder und Worte berührt hatten.
Natürlich und mit einem Anflug von Trotz, sagt Massima, dass sie genau DAvon gerade genug habe: Ihre Mutter sei vor drei Monaten gestorben. An Krebs. Kurz nachdem sie alle zusammen in Italien angekommen sind: die Mutter, sie selbst, ihr Mann und die 3jährige Tochter. Um die Mutter zu begleiten, die sich hier behandeln lassen wollte. Und nun sei sie tot. Und sie seien hier in Italien.
Komm, lass uns zu mir gehen, statt ins Café, sagt sie eine Woche später. Wir überqueren die Tiberbrücke und schnaufen in der heißen Sonne 5 Minuten den steilen Hang hoch. Dann unter der Autobahn hindurch und … da sind wir, sagt sie. Direkt hinter der Autobahn ist links das Grundstück mit mehreren Häusern.
Wir steuern auf einen Garten zu, der sich an der schalldämpfenden Verschalung der Autobahn entlang zieht. Bei dem vielen Mairegen ist alles grün und üppig gewachsen.
Ich bin überrascht, wie wenig die vorbeirauschenden Motoren zu hören sind. Doch es ist laut genug, um den Kontrast zwischen dem Naturbild und den Menschengemachten Geräuschen wahrzunehmen.
Ich verstehe sehr gut, dass Ihr die Wohnung mögt, sage ich. Die Veranda grenzt direkt an den großen, schönen Garten an. Das wilde Grüne setzt ein Gleichgewicht zur Geräuschkulisse, die auf der wenig befahrenen Strecke nur ab und zu
Ein Pavillon schützt vor der Sonne. Und ich entdecke einen Orto, einen Gemüsegarten, mit Kartoffeln, Zwiebeln, Zucchini und Tomaten. Beeindruckt frage ich, wie lang sie das schon macht. Zum ersten Mal, sagt sie lächelnd.
Wir genießen ihren guten Espresso und eiskaltes Wasser. Das Schmalzgebäck dazu habe sie auch selbst gemacht. Nun passen die Bilder, die ich mir von einer stark tätowierten Frau mache, endgültig nicht mehr zusammen.
Ein paar Tage später kommt sie mit Gabo, ihrem Mann und der kleinen Tochter zu uns aufs Mühlengrundstück. Mit einem 3er Pack Bier und einer großen Salami in der Hand steigen sie aus dem VW-Bus und entdecken mit großen Augen das riesige Mühlen Grundstück auf dem Land.
Zusammen schlendern wir zur Isola, dem kleinen Fluss. Ich lerne den Mann an ihrer Seite kennen. Die beiden sind schon die Hälfte ihres Lebens zusammen. Während Gabo und ich uns über „uns in Italien“ austauschen, beruhigt Massima geduldig die Kleine.
Kennt Ihr eigentlich den Wasserfall von Bulciano, frage ich? Nein? Dann müsst ihr ihn kennenlernen. Ich zeige ihn Euch. Stefania langweilt sich bald und so wird es Zeit. Ich fahre mit dem Auto vor und zeige ihnen den Wasserfall.
Ab nächster Woche wird die kleine Stefania alle Tage und immer bei ihr sein, weil das Asilo, der Kindergarten zur Sommerpause schließt. Für zweieinhalb Monate. So ist es eben, sagt sie mit den Schultern zuckend.
Am Montag hab ich sie mit dem Auto besucht. Als ich einen Apfel aus der Tasche hole, bringt Massima eine Schale voll mit duftenden Äpfeln.
Sie zeigt auf eine freie Rasenfläche vor dem Gemüsegarten. Dort wird der Pool stehen, den mein Schwager gerade aus Rumänien nachgeschickt hat. Leider habe er dabei die Füße vergessen. Aber wenn die da sind…
Es ist so ruhig und ich frage, was Stefania im Haus macht. Sie spielt mit dem Handy. Vielleicht käme bald morgens ein anderes Kind dazu, die Tochter von Isa, der Marokkanerin aus unserer Italienisch Gruppe. Eine win-win-Verbindung, die Ornella erschaffen hat, die Lehrerin mit dem großen Herz.
Gestern sehe ich in ihrem Telefon Status das klassisch üppige blau auf dem Foto und weiß sofort bescheid: ein leuchtender, großer Swimming Pool, in dem sich die Sonnenstrahlen brechen. Und in ihnen ein lachendes, planschendes Kind.